Frau Kortländer ist ausgebildete Medienpädagogin und arbeitet als Referentin bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. Im Rahmen ihrer dortigen Tätigkeit ist sie schwerpunktmäßig mit dem Internet befaßt, wobei sie aber auch alle anderen Inhalte abdeckt. Frau Kortländer bemerkt, daß drei von 11 Personen inhaltlich arbeiten, der Rest Verwaltungsangestellte und Schreibkräfte seien, so daß jeder der inhaltlich Arbeitenden im Prinzip alle Inhalte abdecken müsse (vgl.: KORTLÄNDER, 1998, Antwort 4).
Seit der Kommerzialisierung des Internets, hat sich nach Aussagen von Frau Kortländer, an der Arbeit der Bundesprüfstelle im wesentlichen nichts geändert. 1996 gab es die ersten Indizierungsanträge von Internet-Angeboten. Damals war juristisch noch unklar, ob Internet-Angebote überhaupt unter das Gesetz zur Verbreitung jugendgefährdender Schriften fallen (vgl.: KORTLÄNDER, 1998, Antwort 5). Der damalige Schriftbegriff setzte einen körperlichen Gegenstand voraus, der für den Bereich des Internets noch unklar war. Die Bundesprüfstelle indizierte 1996 dennoch bereits erste Internet-Angebote. Frau Kortländer spricht hier von ca. 7 Angeboten aus dem rechtsradikalen Bereich. Im August 1997 wurde durch die Verabschiedung des Informations- und Kommunikationsdienstegesetzes sichergestellt, daß die Bundesprüfstelle auch für die Indizierung von Internet-Angeboten zuständig ist.
Die bereits erfolgten Indizierungen wurden dann im nachhinein noch einmal durch das 12er Gremium bestätigt (vgl.: KORTLÄNDER, 1998, Antwort 5).
Ab August 1997 sind bei der Bundesprüfstelle insgesamt 243 Indizierungsanträge eingegangen. 1998 waren es 149, von denen 97 Anträge tatsächlich indiziert wurden (vgl.: KORTLÄNDER, 1998, Antwort 6). Zum größten Teil kommen die Angebote aus dem Bereich der Pornographie, es handelt sich aber auch zum Teil um Share-Ware-Versionen zu Computerspielen, die bereits indiziert worden sind. Frau Kortländer bemerkt zur Anzahl der Anträge, daß die Bundesprüfstelle auf Anträge der Jugendämter angewiesen sei und selbst keine eigenständige Marktbeobachtung betreibe. Sie sieht dort ein Problem, da die meisten Jugendämter weder die technische Ausstattung "geschweige denn das entsprechend geschulte Personal" besitzen (KORTLÄNDER, 1998, Antwort 7), um entsprechend jugendgefährdendes Material zur Indizierung vorzuschlagen. Entsprechend beurteilt sie die Anzahl der Indizierungsanträge im Hinblick darauf als eher hoch. Vielfach sei man auch auf Beschwerden von Bürgern angewiesen (vgl.: KORTLÄNDER, 1998, Antwort 7).
Trifft ein Indizierungsantrag bei der Bundesprüfstelle ein, muß der Anbieter des Internet-Angebotes zuerst einmal ermittelt werden. Ist dies geschehen, hat der Anbieter 14 Tage Zeit, sich zu dem Fall zu äußern. Es gibt auch die Möglichkeit, in Ausnahmefällen, in Form einer vorläufigen Anordnung binnen 8 Tagen zu indizieren. Im Regelfall dauere eine Indizierung einen Monat, "teilweise auch deutlich länger" (KORTLÄNDER, 1998, Antwort 8). Bei deutschen Anbietern komme es zumeist gar nicht zu einer Indizierung, da meistens eine Benachrichtigung darüber, daß ein Indizierungsverfahren anhängig ist, ausreiche, um die Anbieter dazu zu bewegen, das Angebot zu verändern.
Frau Kortländer spricht dabei den Umstand an, daß viele Anbieter auf keinen Fall auf der Indexliste auftauchen wollten und nach Möglichkeiten fragten, einer Indizierung zu entgehen (vgl.: KORTLÄNDER, 1998, Antwort 8).
Sie stellt einige Möglichkeiten vor, die einen Handlungsrahmen in einem solchen Fall darstellen können. Zum einen seien technische Zugangssicherungen in Form einer Kreditkartenabfrage oder Sendung von Ausweispapieren denkbar. Vielfach würden die Angebote aber auch noch mal überarbeitet, so daß Werbebilder für den kostenpflichtigen Bereich des Angebotes mit Masken verändert würden oder durch eher erotische Bilder ausgetauscht würden. Vielfach sei eine Indizierung nach so einer Überarbeitung dann nicht mehr nötig (vgl.: KORTLÄNDER, 1998, Antwort 8).
Angesprochen auf die Situation bei ausländischen Internet-Angeboten räumt Kortländer ein, "daß die Indizierung da erst einmal relativ folgenlos bleibt" (KORTLÄNDER, 1998, Antwort 9). Es wurde von der Bundesprüfstelle ein Merkblatt für ausländische Anbieter erstellt, auf das es unterschiedliche Reaktionen gab. Zum Teil wurden die Angebote entschärft, zum Teil kamen erzürnte Briefe, in denen die Arroganz der Deutschen kritisiert wurde, die verlangen würden, daß ihr Recht weltweit Anwendung findet.
Kortländer sieht die Indizierung ausländischer Seiten aber insofern nicht als folgenlos an, als die Indexliste von verschiedenen Stellen als Basis zur Filterung benutzt würde, um sie in ihre Datenbank einzuspeisen und so die entsprechenden Angebote herauszufiltern. Der Karstadt-Konzern arbeite in seinen Internet-Cafés nach diesem Prinzip (KORTLÄNDER, 1998, Antwort 9). So mache eine Indizierung zumindest unter diesem Aspekt Sinn.
Die indizierten Angebote sind im Netz größtenteils immer noch verfügbar. Frau Kortländer macht dafür die unterschiedliche Rechtslage der Länder verantwortlich, die sich am Recht ihres eigenen Landes orientieren. In Japan gäbe es beispielsweise keine spezielle Gesetzgebung zum Thema Kinderpornographie. Sie sieht eine einheitliche Vorgehensweise, internationale Einigungen zu finden noch in ferner Zukunft.
Auf die Frage, wie mit indizierten Seiten umzugehen und das Verbreitungsverbot einzuhalten sei, antwortet Kortländer, daß Zugangsprovider weitgehend aus der Verantwortung entlassen sind. Sie führt den Fall einer Online-Ausgabe der linksextremen Zeitschrift "Radikal" an, die nach einem Urteil des Bundesanwaltes zu einer Straftat anleitete und demnach gesperrt werden sollte. Viele der aufgeforderten Provider hätten gar nicht gesperrt, so Kortländer, und sich auf den Standpunkt der technischen Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit zurückgezogen. Diese Formulierung erscheint auch in den entsprechenden Gesetzen (vgl.: KORTLÄNDER, 1998, Antwort 15). Die Verfahren wurden zwar eingestellt, aber den Access-Providern dennoch eine geringe Schuld bescheinigt. Die endgültige Nichtverantwortlichkeit müsse durch weitere technische Gutachten, z.B. zur Filterung über Proxy-Server, belegt werden, so das damalige Ergebnis. Die meisten Sachverständigen verträten die Ansicht, Filterung sei technisch nicht machbar und wirtschaftlich unzumutbar, "der Bundesanwalt und mehrere andere Personen vertreten da eine Minderheitenposition" (KORTLÄNDER, 1998, Antwort 15). Sie sind für eine verstärkte Suche nach technischen Lösungen.
Frau Kortländer selbst ist nicht unbedingt für die Sperrung über Proxy-Server, insofern sie indizierte Angebote betreffen. Bei strafrechtlich relevanten Inhalten dagegen würde sie eine Sperrung begrüßen. Sie gibt jedoch zu bedenken, daß die technichen Möglichkeiten berücksichtigt werden müssen und festgestellt werden muß, inwieweit auch Bereiche um das eigentliche Angebot herum dann betroffen wären (vgl.: KORTLÄNDER, 1998, Antwort 16).
Den Zensurvorwurf, der vielfach in diesem Zusammenhang erhoben wird, weist Frau Kortländer zurück, da die indizierten Angebote Erwachsenen nach wie vor zugänglich sein sollen oder auch zugänglich sein müssen. Das kann dadurch erfolgen, daß der Anbieter technisch Vorsorge trifft, daß Kinder und Jugendliche das Angebot nicht wahrnehmen können, auch dort gäbe es aber noch, aufgrund der Tatsache, daß das Gesetz noch sehr jung sei, keine eindeutige Klärung (vgl.: KORTLÄNDER, 1998, Antwort 17). Kortländer führt das Beispiel eines Anbieters mit Namen World Promo an, der automatisch über einen Filter deutsche Rechner anhand deren IP-Nummer vom Konsum verbotener Seiten ausschließt. Es würde dann bei dem Versuch, von einem deutschen Rechner ein nach deutschem Recht verbotenes Angebot aufzurufen, die Mitteilung erscheinen, daß das nicht ginge, da es verboten sei. Kortländer weist so eine Art des Vorgehens von sich und bemerkt, daß das "wirklich der absoluten Zensur" gleich käme (KORTLÄNDER, 1998, Antwort 17).
Gefragt nach der momentanen Effizienz von Indizierungen, erklärt Frau Kortländer, daß sich sehr viel in dem Sinne getan hätte, daß es Pornographie von deutschen Anbietern kaum noch im Netz gäbe, auf internationaler Ebene hätte sich dagegen nicht viel geändert (vgl.: KORTLÄNDER, 1998, Antwort 22). Im Moment arbeite die Bundesprüfstelle nicht auf internationaler oder auch nur europäischer Ebene. Es gehe der Behörde primär darum, die in Deutschland gerade erst erlassenen Gesetze in Bewertungs- und Evaluierungsrunden nachzubessern. Es würden zwar auch Tagungen auf europäischer Ebene stattfinden, die sich aber nicht unbedingt primär mit dem Internet, sondern mit Jugendschutz allgemein befaßten. Darüber hinaus sei die Bundesprüfstelle im Moment an keinem europäischen oder internationalen Projekt beteiligt, dafür seien die Fachreferate der Ministerien, die auch an der Gesetzgebung beteiligt sind, zuständig (vgl.: KORTLÄNDER, 1998, Antwort 23).
An der augenblicklichen Gesetzeslage bemängelt Frau Kortländer hauptsächlich das Fehlen von Rechtsprechung. Das Gesetz sei noch jung und offen gehalten, um technische Entwicklungen der Zukunft berücksichtigen zu können (vgl.: KORTLÄNDER, 1998, Antwort 24).
Gefragt nach einer Vision für den idealen Jugendmedienschutz für das Internet hat Frau Kortländer keine konkrete Vorstellung. Eine Stelle, die weltweit kooperiert, könne sie sich vorstellen, hält sie aber gleichzeitig für "absolute Utopie" (KORTLÄNDER, 1998, Antwort 25). Nicht mal in Deutschland würde es eine solche Stelle geben, und Staatsanwaltschaft und Ermittlungsbehörden würden aneinander vorbei arbeiten. Eine "Clearing-Stelle Internet" (KORTLÄNDER, 1998, Antwort 25) wäre für Deutschland und auch international wünschenswert.
Die Arbeit von Stellen wie jugendschutz.net oder der die Freiwillige Selbstkontrolle Multimediadiensteanbieter stecke, so Kortländer, ebenfalls noch in den Anfängen, es gäbe aber Kontakte. Sie sieht die Arbeit von jugendschutz.net aus pädagogischer Sicht als problematisch an, da in dieser Institution, nicht wie sonst üblich, in Gremien gearbeitet werde, sondern eine einzelne Person die Entscheidungen fälle. Auch von Anbieterseite würde jugendschutz.net stark kritisiert, da es sich dabei "um eine Art Geschäftsführung ohne Auftrag" handele (KORTLÄNDER, 1998, Antwort 26, 27). Rechtlich bindende Entscheidungen könne jugendschutz.net gar nicht fällen, sondern den Anbieter nur darauf aufmerksam machen, daß ein Angebot gegen deutsches Jugendschutzrecht verstosse. Es gäbe aber eine "Art vorauseilenden Gehorsam, auch auf Seite der Anbieter" (KORTLÄNDER, 1998, Antwort 27), und dann sei es schon problematisch, wenn nur eine Person die Entscheidungen fälle.
Abschließend wurde die Frage gestellt, welche pädagogischen Maßnahmen sie sich neben der gesetzlichen Seite wünschen würde. Sie befand, daß bereits in den Schulen mit einer Integration des Internets in den Unterricht begonnen werden müsse und über Inhalte diskutiert werden solle. Sie sieht diese Möglichkeit allerdings als nicht sehr realistisch an, da nicht einmal Fernseherziehung in den Schulen Platz habe (vgl.: KORTLÄNDER, 1998, Antwort 28).
Auf die Frage, ob sie es begrüßen würde, im Unterricht gerade jugendgefährdende Inhalte, wie z.B. auch die Seiten der Zeitschrift "Radikal" zu diskutieren, merkt Frau Kortländer an, daß Lehrer dabei Gefahr laufen würden, gegen Jugendschutzrecht zu verstoßen. Sie findet diesen Umstand allerdings "sehr bedauernswert [...] da die Inhalte ja eigentlich sehr gut erreichbar sind und bleiben, finde ich es schon richtig, sich damit auseinanderzusetzen", so Kortländer in ihren Abschlußworten (KORTLÄNDER, 1998, Antwort 29).
Die Bundesprüfstelle ist eine staatliche Behörde, die dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nachgeordnet ist. Entsprechend schwerfällig und langsam ist der Weg, gemessen an der Schnelligkeit des Mediums Internet, den ein Indizierungsantrag in der Bundesprüfstelle geht. Es wurde von Frau Kortländer ein Zeitraum von einem Monat oder deutlich länger genannt. Frau Kortländers Aussage, daß sich seit der Kommerzialisierung des Mediums Internet und dem Erlassen des Mediendienstestaatsvertrages im Jahr 1997 nichts wesentliches an der Arbeit der Bundesprüfstelle geändert hat, unterstützt den Eindruck der Schwerfälligkeit und Statik. Dies kann gerade im Hinblick auf die Mobilität des Mediums Internet als extrem hinderlich gewertet werden.
Eine Orientierung oder eine Zusammenarbeit auf europäischer Ebene ist laut Kortländer nicht vorhanden und wird auch nicht weiter verfolgt, was bei einer Anzahl von drei inhaltlich arbeitenden Personen auch nicht weiter verwundern kann. Auf internationaler Ebene wurde einzig versucht, durch ein Merkblatt, die deutsche Rechtslage zu erläutern und eine Änderung der nach deutschem Recht als jugendgefährdend einzuordnenden Angebote zu erreichen. Daß die Reaktion teilweise erzürnt aufgrund der Arroganz der Deutschen ausfiel, ist nachvollziehbar.
Eine Indizierung von ausländischen Angeboten bleibt also erst einmal relativ folgenlos. Dennoch sind auf den Indexlisten der Bundesprüfstelle in der Hauptsache ausländische Angebote zu finden, gegen die die deutschen Behörden erst einmal wenig ausrichten können, da deutsches Recht hier nicht greift.
Ein weiteres Manko der Arbeit der Bundesprüfstelle ist, daß sie auf Indizierungsanträge der Jugendämter oder anderer berechtigter Stellen angewiesen ist, die sich mit dem Medium bisher größtenteils nur schlecht auskennen und nur über unzureichend geschultes Personal verfügen. So sind von August 1997 bis September 1998 243 Indizierungsanträge eingegangen, gemessen an der großen Anzahl von Angeboten eher wenig. Hier wäre eine breite Medienkompetenzbildung auf Seiten der Pädagogen notwendig.
Die Frage, ob diese Form des Jugendschutzes für das Internet geeignet ist, kann an dieser Stelle verneint werden. Das angewandte Verfahren ist zu langwierig und allenfalls bei deutschen Angeboten bedingt wirksam. Bei einem so schnellebigen Medium wie das Internet ist eine Indizierungszeit von bis zu einem Monat effektiv zu lang, da das Angebot bis dahin unter Umständen nicht mehr existiert oder bereits wieder verändert wurde und einer erneuten Prüfung bedarf. Der von der Bundesprüfstelle herausgegebene BPjS-Report wird teilweise wie eine Programmzeitschrift für interessante Spiele etc. benutzt und gibt Hinweise auf Adressen, die man sonst vielleicht nie gefunden hätte.
Zur Verbesserung der Lage wünscht sich Frau Kortländer hauptsächlich eine Zunahme der Rechtsprechung, um mehr Klarheit zu bekommen. Eine konkrete Vision, wie der ideale Jugendschutz für das Internet aussehen könnte, hat Frau Kortländer nicht. Eine weltweit operierende Stelle würde begrüßt, zugleich wird dieser Ansatz aber nicht für realistisch gehalten.
Die Kritik an Jugendschutz.net verdeutlicht die Zerissenheit des bundesdeutschen Jugendschutzes. Die Stellen von Bund und Ländern machen eher den Eindruck konkurrierender denn zusammenarbeitender Institutionen. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß die Zuständigkeiten noch unklar sind. Die von Kortländer angesprochene fehlende Rechtsprechung könnte dafür verantwortlich sein.
Laut Kortländer müsse bereits in den Schulen mit der Integration des Internets in den Unterricht begonnen werden. Auch eine Auseinandersetzung mit jugendgefährdenden Inhalten im Unterricht hält Kortländer für richtig. Daß Pädagogen dabei Gefahr laufen, gegen Jugendschutzrecht zu verstoßen, hält sie für sehr bedauernswert.
Gerade an dieser Stelle wird noch einmal deutlich, daß eine Indizierung von Internet-Inhalten nahezu folgenlos bleibt und selbst von einer Mitarbeiterin der Bundesprüfstelle die Folgen der Indizierung für den pädagogischen Bereich als nachteilig empfunden werden. Die Bundesprüfstelle macht sich an dieser Stelle selbst obsolet.
Zu Beginn des Interviews stellte Herr Waldenberger die Struktur der Institution vor, die sich aus mehreren Organen zusammensetzt. Es gibt demnach eine Mitgliederversammlung, einen Vorstand und eine unabhängige Beschwerdestelle, die in Wiesbaden ansässig ist. Dr. Waldenberger selbst gehört dem Vorstand an, der u.a. für die Außendarstellung zuständig ist.
In der Beschwerdestelle sind im Zeitraum August 1997 bis Juni 1998 184 förmliche Beschwerden eingegangen.
Diese beziehen sich hauptsächlich auf die Bereiche Pornographie und Rechtsradikalismus (vgl.: WALDENBERGER, 1998, Antwort 3-4).
Bei Eintreffen einer Beschwerde wird nach einer detaillierten Beschwerdeordnung vorgegangen. Ein Vorprüfer bearbeitet die Beschwerde zuerst formell und informiert den Beschwerdegegner über die eingegangene Kritik. Dieser muß sich dazu äußern. Danach wird der Fall dem Ausschuß der Beschwerdestelle vorgelegt (vgl.: WALDENBERGER, 1998, Antwort 5). Zur detaillierterern Darstellung der Beschwerdeordnung verweist Waldenberger auf die Website der Institution (http://www.fsm.de). Beschwerden können bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimediadiensteanbieter (FSM) auch gegen Angebote privater Content-Provider eingereicht werden, die nicht Mitglied der Organisation sind. Die Maßnahmen bei solchen Beschwerden sind dann allerdings andere als bei Mitgliedern. Hier kann lediglich ein Hinweis an den Anbieter ergehen. Waldenberger sieht aber dennoch eine mögliche Wirkung, da der Hinweis einer Organisation wie der FSM eine nachhaltigere Wirkung erziele als einer Privatperson (vgl.: WALDENBERGER, 1998, Antwort 6). Bei Anbietern, die sich freiwillig den Grundsätzen der FSM unterworfen haben, bestehen drei Möglichkeiten der Reaktion für die FSM: 1. den Hinweis, 2. die Mißbilligung und 3. die Rüge. Eine Rüge müsse vom Betroffenen veröffentlicht werden (vgl.: WALDENBERGER, 1998, Antwort 6).
Angesprochen auf die Problematik mit ausländischen Angeboten weist Dr. Waldenberger darauf hin, daß sich die FSM primär für deutsche Angebote zuständig sieht, sie sich aber bemühe, mit ähnlichen Organisationen im Ausland zusammenzuarbeiten. Waldenberger sieht das momentan größte Problem darin, daß es solche Organisationen teilweise noch nicht gäbe, oder die Länder eine andere Philosophie verfolgten (vgl.: WALDENBERGER, 1998, Antwort 7). Falls es in dem Land, aus dem die beanstandete Seite kommt, eine ähnliche Organisation wie die FSM gibt, leitet diese die Beschwerde zur Bearbeitung dorthin weiter. In Ländern, in denen es noch keine Selbstkontrollorganisation gibt, erklärt sich die FSM zur Zeit noch als unzuständig. Dr. Waldenberger sieht allerdings Entwicklungschancen auf diesem Gebiet aufgrund von Initiativen der Europäischen Kommission und rechnet mit einem Zuwachs von Partnerorganisationen im europäischen Ausland für das nächste Jahr (vgl.: WALDENBERGER, 1998, Antwort 7).
Angesprochen auf die Formulierung im Verhaltenskodex, wonach die FSM Maßnahmen ergreife, die sie als "tatsächlich und rechtlich möglich und zumutbar" (VERHALTENSKODEX der FSM, Ziff. 2) ansehe, erläutert Dr. Waldenberger, daß der Verhaltenskodex an die bestehende Gesetzeslage angelehnt sei. Er spricht dabei vom Informations- und Kommunikationsdienstegesetz des Bundes und dem Mediendienste-staatsvertrag der Länder und verweist auf den Paragraphen 5, in dem das Kriterium technisch möglich und zumutbar ebenfalls auftaucht und aus diesem Grunde Verwendung im Verhaltenskodex fand. Soll eine Selbstkontrollorganisation akzeptiert werden, so dürften nur praktikable Maßnahmen verhängt werden, nicht solche von denen von vornherein klar sei, daß sie technisch gar nicht durchführbar seien (vgl.: WALDENBERGER, 1998, Antwort 9).
Zu indizierten Web-Seiten, die laut Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte Kindern und Jugendlichen nicht mehr zugänglich gemacht werden dürfen, erklärt Waldenberger, daß in diesem Falle auch der Paragraph 5 zum Tragen komme und geklärt werden müsse, ob eine Sperrung technisch möglich sei (vgl.: WALDENBERGER, 1998, Antwort 11). Indizierte Seiten, die immer noch im Netz stehen, sieht er als "Problem der Rechtsdurchsetzung" und auch "technisches Problem" (WALDENBERGER, 1998, Antwort 15) an. Waldenberger erläutert, daß man diese Seiten spiegeln und auf einen anderen Rechner ablegen könne, dynamische Internet-Protokoll-Nummern verwenden könne und noch weitere technische Möglichkeiten bestünden, eine Sperrung zu umgehen (vgl.: WALDENBERGER, 1998, Antwort 15).
Er sieht für die Durchsetzung des bestehenden Rechts in erster Linie den Staat verantwortlich. Würden indizierte Seiten dennoch im Netz erscheinen, wäre es Aufgabe der Behörden einzuschreiten. Offensichtlich, so Waldenberger, seien sie dazu nicht in der Lage, oder täten es nur sporadisch.
Dr. Waldenberger sieht die Aufgabe der FSM in einer Ergänzungsmaßnahme von Seiten der Wirtschaft, nicht aber als Lösung von Problemen des Staates (vgl.: WALDENBERGER, 1998, Antwort 15). Gegen keines der ungefähr 300 Unternehmen, die der FSM angehörten, habe es bislang eine Beschwerde gegeben.
Die FSM wurde geschaffen, um in der Bevölkerung eine Akzeptanz für die kommerziellen Online-Anbieter zu schaffen und zu demonstrieren, daß man in der Lage sei, sich einen eigenen Kodex zu geben und durchzusetzen. Eine Zensur von Angeboten oder eine konkrete Suche nach verbotenen Inhalten sei nicht Ziel der FSM. Die FSM werde nur auf Antrag tätig und ergreife dann entsprechende Maßnahmen (vgl.: WALDENBERGER, 1998, Antwort 15). Die FSM bemühe sich weiterhin, auf Filtersoftware hinzuweisen, insofern Anfragen an sie herangetragen werden. Waldenberger weist darauf hin, daß es sich dabei um keine perfekten Systeme handele.
Er erwähnt die Arbeit der FSM auf europäischer Ebene, auf der gerade eine Diskussion zum Thema eingesetzt habe, die sich aber noch im Anfangsstadium befinde. Als Voraussetzung für ein "vernünftiges Filtersystem [...], was auch individuelle Bedürfnisse befriedigt" (WALDENBERGER, 1998, Antwort 19), bezeichnet er dabei das sogenannte Content-Rating. Eine sinnvolle Arbeit auf diesem Gebiet könne als kleinstmögliche Einheit nur europaweit erfolgen, es mache keinen Sinn, sich nur auf Deutschland zu beziehen (WALDENBERGER, 1998, Antwort 19).
Die in der Satzung erwähnte "Förderung von Bildung und Erziehung im Multimediabereich" (SATZUNG der FSM, § 2) beziehen sich nur auf die Mitglieder der FSM und sind nicht nach außen gerichtet (vgl.: WALDENBERGER, 1998, Antwort 22). In diesem Zusammenhang ist eine Konferenz während der deutschen EU-Präsidentenschaft im nächsten Jahr geplant, in der das Thema ´Freiwillige Selbstkontrolle in Europa` behandelt werden soll. Ferner sei eine deutsche Diskussionsrunde mit Experten über die Arbeit der FSM geplant (vgl.: WALDENBERGER, 1998, Antwort 21).
Waldenberger stellt sich für die FSM eine ähnliche Funktion vor, wie sie der Presserat in Deutschland hat, dessen Pressekodex in allen Redaktionen ausliege (vgl.: WALDENBERGER, 1998, Antwort 23).
In Bezug auf die rechtliche Situation beklagt Waldenberger, daß sowohl bei Straf- als auch Zivilgerichten die jeweiligen Paragraphen 5 des Informations- und Kommunikationsdienstegesetzes und des Mediendienstestaatsvertrages, in denen die Verantwortlichkeit der Anbieter geregelt ist, "beharrlich ignoriert" (WALDENBERGER, 1998, Antwort 24) würden. Waldenberger fragt sich, wer die Lage begreifen soll, wenn noch nicht einmal die Richter sie begreifen würden.
Als zweiten Kritikpunkt an der gesetzlichen Situation führt er die Zersplitterung des Jugendschutzes innerhalb der Kategorisierung Medien- und Teledienste an. Es gäbe dort unterschiedliche Verhaltensregeln. Die Jugendschutzregeln für die Mediendienste seien strenger als die für Teledienste. Wenn man schon nicht wisse, ob man zu den Tele- oder den Mediendiensten gehöre, sei es auch schwierig zu wissen, welche Jugendschutzregeln gelten (vgl.: WALDENBERGER, 1998, Antwort 24). Waldenberger erläutert, daß im Mediendienstestaatsvertrag jede Form von Pornographie für unzulässig erklärt würde. Dies sei nicht "konsistent mit unserem gegenwärtigen Strafrecht" (WALDENBERGER, 1998, Antwort 28). Pornographische Angebote seien demnach für Erwachsene erlaubt, wenn sie verschlüsselt oder mit Zugangskontrollen versehen seien. Nach dem Mediendienstestaatsvertrag wäre das bereits unzulässig. Waldenberger meldet Bedenken an, ob dieser Umstand verfassungsmäßig sei (vgl.: WALDENBERGER, 1998, Antwort 28).
Ferner kritisiert er die unterschiedliche Zuständigkeit der Behörden. Bei Telediensten sei die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften zuständig, bei Mediendiensten herrsche eine "ganz komplizierte Zuständigkeit unter den Ländern" (WALDENBERGER, 1998, Antwort 28). Die von den Ländern geschaffene Stelle Jugendschuzt.net habe "de facto keine Kompetenzen" (WALDENBERGER, 1998, Antwort 28), da ein Staatsvertrag fehle, der diese Kompetenzen erteile. Einige Länder würden die Gesetze sehr streng handhaben, andere hätten gar nicht die technische Ausstattung, um Verstösse angemessen zu verfolgen. Insgesamt schätzt Waldenberger die Lage, auch rechtlich, als "sehr, sehr schwierig" ein (WALDENBERGER, 1998, Antwort 28).
Gefragt nach dem, aus Anbietersicht, idealen Jugendschutz der Zukunft, erklärt Waldenberger, er wünsche sich zunächst klare Gesetze, die verfassungsmäßig sein sollten und dem Adressaten klare Vorgaben lieferten. In einer moderen Medienlandschaft könne der Staat nicht alleine für den Jugendschutz sorgen.
Eine freiwillige Selbstkontrolle, wobei er die Begriffe ´freiwillig` und ´selbst` besonders hervorhebe, sei ergänzend notwendig.
Eine weitere Verantwortlichkeit sieht er bei den Eltern, die, wenn sie ihrem Kind einen Computer mit Internet-Zugang zur Verfügung stellten, eine Verantwortung übernehmen würden. Bei den Eltern fange Jugendschutz zuerst an. Filtersoftware und andere technische Maßnahmen sieht er dort am besten aufgehoben.
Jede dieser angesprochenen Ebenen, also Staat, Wirtschaft und Eltern, müßten zusammenarbeiten, um einen sinnvollen Jugendschutz zu gewähren (vgl.: WALDENBERGER, 1998, Antwort 29) Dies sei der "einzig gangbare Weg in einer freiheitlichen Gesellschaft". "Wir wollen nicht, wie die Chinesen, den Großteil der Bevölkerung von diesem Kommunikationsweg einfach ausschließen, also müssen wir damit irgendwie kreativ umgehen. Wir können das nur, wenn wir Baustein für Baustein zusammensetzen." (WALDENBERGER, 1998, Antwort 29), so Dr. Waldenberger in seinen Schlußworten.
Die FSM ist eine Organisation der Wirtschaft, die als Beschwerdestelle für jeden, der im Netz relevantes Material findet, zur Verfügung steht. Verstösse gegen einen selbst aufgestellten Kodex werden dabei entsprechend geahndet. Der aufgestellte Kodex deckt sich im wesentlichen mit den ohnehin schon vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen und stellt somit keine weitere Einschränkung für die Online-Anbieter dar.
Der Beitritt zu einer Organisation wie der FSM entbindet Unternehmen vom Einsetzen eines eigenen Jugendschutzbeauftragten, der eventuell auch auf positive Inhalte für Jugendliche hinwirken könnte.
Mit dem Beitritt zur FSM sind die Unternehmen davon befreit, müssen sich also keine Gedanken mehr um geeignete Angebote für Jugendliche machen.
Innerhalb eines knappen Jahres sind bei der FSM 184 Beschwerden eingegangen, eine relativ knappe Zahl, bedenkt man die hohe Anzahl an Webseiten und die Möglichkeit, daß jeder sich bei der FSM beschweren kann.
Auch die FSM sieht sich in erster Linie für deutsche Angebote verantwortlich, orientiert sich aber auch auf europäischer Ebene, wobei das sogenannte Content-Rating, nach Ansicht Dr. Waldenbergers, eine Lösung im Bereich des Jugendschutzes darstellen könnte. Zur Aufklärung der Eltern und anderer Nutzer sind von Seiten der FSM keine besonderen Maßnahmen geplant. Die in der Satzung erwähnte "Förderung von Bildung und Erziehung im Multimediabereich" (SATZUNG, 1997, § 2) bezieht sich nur auf die Mitglieder der FSM und ist nicht nach außen gerichtet. Innerhalb der Mitglieder soll ein Kodex, ähnlich dem des Presserates, geschaffen werden. Eine Aufklärung der Bevölkerung ist an dieser Stelle nicht geplant, obwohl diese sicherlich notwendig wäre.
Wie Dr. Waldenberger bemerkt, wurde die FSM unter anderem auch deshalb gegründet, um in der Bevölkerung eine Akzeptanz für das neue Medium Internet zu schaffen und den negativen Schlagzeilen, die es immer wieder hervorbringt, etwas entgegen zu setzen. Es geht bei dieser Institution also auch um eine Image-Aufbesserung der beteiligten Firmen. Die Satzungsinhalte, die sich auf den Jugendschutz beziehen, müssen ohnehin aufgrund der Gesetzeslage eingehalten werden und bedürften an und für sich keine besondere Erwähnung. Einzig, daß man sich Verhaltensgrundsätze für journalistisch redaktionell gestaltete Inhalte gibt (VERHALTENSKODEX, 1997, Ziff. 4), ähnlich dem Pressekodex, stellt eine Neuerung für Online-Medien dar.
Die FSM bietet jedem die Möglichkeit, sich über Inhalte zu beschweren. Ist die Beschwerde berechtigt, stehen als Maßnahmen Hinweis, Mißbilligung und Rüge gegenüber dem Mitglied der FSM zur Verfügung. Unerwähnt bleibt, ob Gesetzesverstöße den zuständigen Ordnungsbehörden, die eigentlich dafür zuständig sind, weitergeleitet werden oder nicht. In diesem Fall hätte man die Ordnungsbehörden umgangen. Bisher sei, so Waldenberger aber auch noch keine Beschwerde gegen ein Mitglied der FSM eingegangen.
Ob diese Form des Jugendschutzes die geeignete für das Internet ist, hängt letztendlich vom Engagement der Mitglieder ab. Sich selbst einen Kodex zu geben und auf dessen Einhaltung verantwortungsbewußt zu achten ist sicherlich ein richtiger Ansatz. Zu bedauern ist an dieser Stelle nur, das die Verhaltensregeln des Kodex im Bezug auf den Jugendschutz nicht über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. An dieser Stelle könnte sicherlich noch mehr getan werden und auch eine stärkere Aufklärung der Bevölkerung von Seiten der Anbieter erfolgen. Dazu hätte man sich beispielsweise durchaus verpflichten können.
Eine Gefahr für die Informationsfreiheit der Erwachsenen wäre ein zu eifriges Engagement auf Seiten der Anbieter im Sinne von vorauseilendem Gehorsam und Selbstzensur. Firmen könnten mit einem sauberen Image werben und alle bedenklichen Inhalte aus ihrem Angebot fernzuhalten versuchen.
Als Verbesserung würde Dr. Waldenberger in erster Linie eine Klärung der Gesetzeslage ansehen, die allen Beteiligten klare Vorgaben liefern sollte. Nicht einmal die Richter könnten mit der neuen Rechtssituation angemessen umgehen. Auch die Zersplitterung des Jugendschutzes zwischen Bund und Ländern mit teilweise unklaren Kompetenzenverteilungen und unterschiedlichen Gesetzen hält er für verbesserungswürdig.
Für die Zukunft hält er eine Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft in Form einer freiwilligen Selbstkontrolle weiterhin für sinnvoll. Allerdings sieht Waldenberger auch einen Großteil der Verantwortung bei den Eltern, bei denen Filtersoftware und andere technische Maßnahmen am besten aufgehoben wären. Ein Zusammenspiel des Jugendschutzes auf den Ebenen Eltern, Staat und Wirtschaft sieht er als die einzige Möglichkeit eines sinnvollen Jugendschutzes.
Frau Müller berichtet aus dem ersten halben Jahr ihrer Arbeit, daß zuerst eine Struktur und eine Konzeption entwickelt werden mußte, da es etwas in dieser Form auf dem Gebiet des Mediums Internet noch nicht gab. Es stellte sich heraus, so Müller, daß das Konzept erfolgreich sei. Jetzt sei eine personelle und konzeptionelle Aufstockung sowie eine feste Institutionalisierung geplant, im Moment befinde man sich noch in einer Übergangsphase (vgl.: MÜLLER, 1998, Antwort 4).
Frau Müller unterstreicht, daß Jugendschutz.net mit Hilfe eines technischen Suchverfahrens selber aktiv werde, sich aber aufgrund der steigenden Bekanntheit immer mehr auch zu einer Beschwerdestelle für jugendschutzrelevante Themen entwickele. Sie sieht eine "breite öffentliche Resonanz" und "ein hohes Interesse an diesem Thema" (MÜLLER, 1998, Antwort 4). Es gingen Beschwerden von verschiedensten Internet-Nutzern, aber auch zunehmend von Konkurrenten oder Kollegen, bei Jugendschutz.net ein.
Gefragt nach der rechtlichen Grundlage der Institution erklärt Frau Müller, daß diese in Artikel 8 des Mediendienstestaatsvertrages zu finden sei, der die Jugendschutzrichtlinien zum Inhalt habe, und in Artikel 18, in dem steht, daß die Obersten Landesjugendbehörden die Kontrolle über deren Einhaltung haben. Für die vorläufige Institutionalisierung der Stelle gäbe es einen Jugendministerbeschluß, der einstimmig von allen Jugendministerinnen und -ministern beschlossen wurde, sowie eine vorläufige Ländervereinbarung. Müller erklärt, daß dies ein durchaus übliches Verfahren und Jugendschutz.net eine "legitime und von allen Ländern bezahlte Institution" sei (MÜLLER, 1998, Antwort 5). Erst wenn hoheitliche Aufgaben, wie Ordnungswidrigkeitenverfahren, übernommen würden, benötige man einen Länderstaatsvertrag. Eine Probephase sei durchaus üblich, damit ein endgültiger Staatsvertrag auch eine "gute und gültige Form" (MÜLLER, 1998, Antwort 5) habe.
Auf ihre tägliche Praxis angesprochen, erklärt Frau Müller, daß die Anzahl der jugendschutzrelevanten Angebote, die täglich vom Crawler gefunden werden, sehr viel höher sei als sie bearbeiten könnten. Sie spricht dabei von zwei- bis dreihundert relevanten Angeboten. Eine große Anzahl der Angebote kämen aus dem pornographischen Bereich. Auch in Deutschland gäbe es eine große Anzahl solcher Sites. Müller spricht in diesem Zuammenhang von mehreren Tausend. Das reiche von der privaten Homepage bis zu kommerziellen Sado-Maso-Clubs oder Callgirl-Ringen, die für ihre Einrichtungen Werbung betreiben wollten (vgl.: MÜLLER, 1998, Antwort 6).
Neben der Pornographie sei ein anderer wichtiger Bereich die antidemokratische Propaganda, die Frau Müller als sehr ausgefeiltes und vernetztes System bezeichnet. Sie stellt fest, daß die Inhalte der in Deutschland ansässigen Rechner meist knapp unter der strafrechtlichen Relevanz lägen, aber eine weitreichende Vernetzung mit strafrechtlich relevanten Angeboten im Ausland gehabt hätten. Müller wertet es als Erfolg ihrer Arbeit, daß diese Verbindungen kaum noch bestünden (vgl.: MÜLLER, 1998, Antwort 7).
Ist ein relevantes Angebot gefunden, müsse intensiv recherchiert und dokumentiert und die Daten in eine Datenverwaltungssoftware überführt werden. Man müsse die gefundenen Sites und Fotos beweissicher machen, um belegen zu können, was gefunden wurde. Es werde dann eine eigene Bewertung geschrieben. In Ausnahmefällen werde der gesamte Rechnerinhalt auf CD-ROM gespeichert. Für die Bearbeitung eines Angebotes setzt Müller mehrere Stunden an.
Um den Anbieter zu ermitteln, verwendet Jugendschutz.net das Verfahren der Domain-Abfrage, aber auch Traceroute oder die Ermittlung der IP [Anmerkung der Verfasserin: die genannten Verfahren dienen der Ermittlung des Anbieters einer Seite, Erläuterungen dazu im Glossar]. Das gesamte technische Umfeld würde auch ermittelt und in die Dokumentation aufgenommen werden. Ist der Anbieter ermittelt, wird er per Brief oder Fax darauf hingewiesen, daß ein bestimmtes Angebot auf seinem Rechner unzulässig sei. Es wird eine kurze Erläuterung gegeben, warum dies so sei und wo die besondere Problematik läge (vgl.: MÜLLER, 1998, Antwort 8,9). Der Anbieter wird aufgefordert, das Angebot innerhalb einer von Jugendschutz.net gesetzten Frist, in der Regel eine Woche, zu verändern oder, falls es komplett unzulässig sei, ganz heraus zu nehmen. Leistet der Anbieter dem keine Folge, würden die entsprechenden Behörden informiert. Ein gewisser Druck, so Müller, sei natürlich immer dahinter (vgl.: MÜLLER, 1998, Antwort 11).
Gefragt danach, wer die Angebote als jugendgefährdend bewerte und nach welchen Kriterien dabei vorgegangen werde, erwidert Frau Müller, daß in erster Linie sie selbst diejenige sei, die das System angewandt habe, das gemeinschaftlich, insbesondere nach rechtlichen Gesichtspunkten, von Herrn von Heyl und ihr entwickelt wurde. Es wurde demnach ein Raster entwickelt, welche rechtlichen Regelungen tangiert seien. Bei einfacher Pornographie sei es zum Beispiel nicht nur das Strafgesetzbuch, sondern auch der Mediendienstestaatsvertrag und das Informations- und Kommunikationsdienstegesetz.
Müller sieht es als entscheidend an, daß derjenige, der die Entscheidungen trifft, sowohl in der rechtlichen Beurteilung als auch in der Beurteilung von jugendgefährdenden Material eine gewisse Praxis habe (vgl.: MÜLLER, 1998, Antwort 12). Frau Müller erklärt, daß ihre Praxiserfahrung aus ihrer vierjährigen Tätigkeit bei der FSK herrühre, bei ihrem Kollegen Herrn von Heyl sei eine sehr viel längere Tätigkeit als zuständiger Referent und Abteilungsleiter in diesem Bereich vorhanden. Vorerfahrung auf diesem Gebiet sei unbedingt nötig, um ein entsprechendes Beurteilungssystem entwickeln zu können. Sei das System erst einmal gebildet, könnten auch andere Mitarbeiter darauf eingelernt werden. In Zweifelsfällen wären es Herrn von Heyl oder sie selbst, die die Entscheidungen treffen. Ferner würde man auch das Gespräch mit Kollegen suchen. Neben denen innerhalb der Institution seien das auch Kolleginnen und Kollegen der Ministerien oder auch die Ständigen Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden. Aufgrund dieser Gespräche und Diskussionen würde dann auch eine Spruch- oder Beurteilungspraxis entwickelt werden. Frau Müller sieht diesen Bereich als fließend an. Man müsse immer wieder auf die veränderte Medien- oder auch Rezeptionssituation reagieren und sich neu orientieren. Einen Kriterien- oder Normenkatalog aufzustellen, der dann für die nächsten 20 Jahre gültig sei, hält Müller für unmöglich. Das wäre im gesamten Bereich des Medienschutzes nicht möglich (vgl.: MÜLLER, 1998, Antwort 12).
Eine direkte Handlungsmöglichkeit habe Jugendschutz.net insbesondere bei Angeboten, die auch strafrechtlich relevant seien, dies sei eine sehr große Fülle von Angeboten, auf die die Institution auch erst einmal den Schwerpunkt der Arbeit gelegt hätte, da dies gleichzeitig die problematischsten Angebote für Jugendliche seien (vgl.: MÜLLER, 1998, Antwort 13). Darüber hinaus sähe der Mediendienstestaatsvertrag vor, bei beeinträchtigenden Angeboten technische Schutzvorrichtungen vorzuschalten. Diese Forderung könne man an die Anbieter stellen, so Müller. Ist ein Angebot also lediglich beeinträchtigend für Kinder und Jugendliche, müsse der Anbieter die gängige Kinderschutzsoftware installieren, damit beispielsweise Eltern oder Pädagogen die Möglichkeit haben, entsprechende Sites herauszufiltern.
Müller bemerkt allerdings, daß es ein abgestuftes, fundiertes System, wie etwa bei Kino oder Fernsehen, im Internetbereich noch nicht gibt (vgl.: MÜLLER, 1998, Antwort 13). Sie fordert eine Weiterarbeit in Richtung Kinderschutzsoftware und technische Verfahren, um mit der Zeit ein Verfahren zu entwickeln, in dem man relativ genau Altersangaben festlegen kann. Die momentane Lage schätzt Müller als "äußerst defizitär" ein und meint, daß der "ganze Bereich noch nicht als wirklich wirksam einzuschätzen" sei (MÜLLER, 1998, Antwort 13).
Für die Zukunft sieht sie diesen Bereich aber als wichtig an, da man auch immer mehr für jüngere Kinder, die das Internet entdecken wollten, Sicherungsmaßnahmen treffen müsse (vgl.: MÜLLER, 1998, Antwort 13). In diesem Bereich sieht sie sowohl Eltern als auch Provider in der Verantwortung.
Eine direkte Sperrung über den Proxy-Server des Access-Providers sieht Müller bei beeinträchtigenden Angeboten als unmöglich an. Eine Ausnahme könnte bei sehr gravierenden Straftaten bestehen. "Kinder- und Jugendschutz muß immer auch im Verhältnis stehen zu anderen tangierten Rechtsgütern und Meinungs- und Informationsfreiheit ist ein sehr hohes Rechtsgut, und deshalb muß man die Einschränkungen, die man verlangt wirklich abwägen [...]" (MÜLLER, 1998, Antwort 15).
Frau Müller sieht im Moment Kinderpornographie als die einzige Straftat an, die eine Sperrung beim Access-Provider rechtfertigen würde (MÜLLER, 1998, Antwort 15). Provider seien, laut Gesetz, auch nur dann für Inhalte verantwortlich zu machen, wenn es technisch machbar und zumutbar sei, etwas dagegen zu unternehmen.
Es sei weder machbar noch zumutbar, das ganze Netz dauernd zu durchsuchen und eine "Art Zensur" zu üben. "Das wäre gegen alle Freiheitsrechte, die wir als demokratischer Staat einfach auch ganz hochhalten müssen" (MÜLLER, 1998, Antwort 16) und könne auf gar keinen Fall vom Provider verlangt werden.
Die Provider müßten für vernünftige Systeme sorgen, da gäbe es unterschiedliche Ansätze. Das Content-Rating schätzt Müller im Moment als das sich am stärksten durchsetzende System ein. Allerdings sieht sie ein Problem darin, daß lediglich die Inhalteanbieter die Einstufungen vornehmen. Außerdem müßte das System sehr flächendeckend angewandt werden, was im Moment auch noch problematisch sei.
Eine weitere Schwierigkeit bestünde in der unterschiedlichen Moral- und Wertevorstellung auf der Welt. In Japan zum Beispiel sei Kinderpornographie noch nicht einmal strafbar. Bis man ein einheitliches System geschaffen habe, das als Ratingsystem funktionieren könne, würde noch sehr viel Zeit vergehen, wenn es überhaupt gelingen würde (vgl.: MÜLLER, 1998, Antwort 17).
Bis dahin hält Frau Müller es für sinnvoll, Jugendschutzinstitutionen genau wie andere Angebote zu vernetzen, länderübergreifend zu arbeiten und sich gegenseitig zu informieren. Es gäbe Initiativen der Europäischen Union, an denen Jugendschutz.net mitarbeiten möchte. Ziel wäre es, in jedem Land eine entsprechende Stelle aufzubauen, die miteinander in Kontakt stünden (vgl.: MÜLLER, 1998, Antwort 18). Im Moment beschränke sich die Institution hauptsächlich auf deutschsprachige Angebote, wobei auch Inhalte aus Österreich und der Schweiz enthalten sein könnten. Mit entsprechenden Stellen dieser Länder unterhalte Jugendschuzt.net bereits Kontakte und könne Erfolge verbuchen.
Gute Ergebnisse kann Frau Müller aus dem Bereich Kinderpornographie melden, in dem sie auch mit dem Bundeskriminalamt zusammenarbeitet und bereits gute internationale Kontakte bestehen (vgl.: MÜLLER, 1998, Antwort 19).
Als weiteren Erfolg ihrer Arbeit wertet Frau Müller die Bekanntheit, die die Stelle mittlerweile in Deutschland erreicht hat, und daß damit auch das Bewußtsein für Jugendschutz im Internet gewachsen sei. Dies sei trotz der geringen personalen und technischen Ausstattung möglich gewesen (vgl.: MÜLLER, 1998, Antwort 20).
Für die Zukunft sieht Frau Müller die Einrichtung von Gremien, in denen kollektiv über gefährdende Inhalte entschieden wird, als "fast ausgeschlossen" (MÜLLER, 1998, Antwort 21) an. Die Schnelligkeit des Mediums Internet lasse es nicht zu, solange zu warten, bis ein Gremium zusammentrete, sondern fordere eine schnelle Reaktion.
Wichtig sei es, mit Kolleginnen und Kollegen problematische Fälle zu diskutieren, um sein eigenes Urteil zu schärfen und eventuell für besondere Fälle Gremienentscheidungen zu überlegen (vgl.: MÜLLER, 1998, Antwort 21). Die Anzahl der Mitarbeiter soll in Zukunft angehoben werden. Dabei soll hauptsächlich auf Studierende zurückgegriffen werden, die im Rahmen eines 8 bis 9-wöchigen Praktikums in der Recherche und Beurteilung von Jugendschutz.net tätig sein sollen.
In Zusammenarbeit mit der pädagogisch-philosophischen Fakultät der Universität Mainz soll Anfang November 1998 die erste Gruppe, die entsprechend ausgebildet wird, ihr Praktikum beginnen. Frau Müller sieht es als Chance an, immer neue Studierende als Mitarbeiter zu beschäftigen, die die Arbeit und die Kriterien nachvollziehen müssen, und dann eventuell als Korrektiv fungieren. Das Gespräch und die Diskussion um Inhalte hat für sie eine wichtige Bedeutung (vgl.: MÜLLER, 1998, Antwort 21).
Den Vorwurf der Zensur und die Kritik, daß nur eine Person über Inhalte entscheide, weist Frau Müller zurück, da Beurteilungen immer noch mit den Anbietern diskutiert werden müßten, und es sich um sehr klare Tatbestände handele (vgl.: MÜLLER, 1998, Antwort 23).
Die Entscheidungsgewalt läge letztendlich bei den Gerichten, Jugendschutz.net würde nur Hinweise geben und beurteilen. Es bestünde ein "völlig freier Kommunikationsprozess, in dem wir [Jugendschutz.net, Anmerkung der Verfasserin] überhaupt gar keine Entscheidung fällen und in dem jeder seine Meinung auf jedem Rechtsweg durchsetzen kann (MÜLLER, 1998, Antwort 24), so Müller in ihrer Einschätzung.
Sie hält das Verfahren für sehr demokratisch und sieht es weit weg vom Vorwurf der Zensur (vgl.: MÜLLER, 1998, Antwort 24).
Abschließend wurde auch Frau Müller nach ihrer Vorstellung von einem idealen Jugendmedienschutz und möglichen pädagogischen Maßnahmen befragt. Sie sieht einen freien Umgang mit Medien und den größten Nutzen für die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen in dem Moment am besten gewährleistet, in dem eine Gefährdung oder Beeinträchtigung durch Inhalte möglichst ausgeschlossen ist (vgl.: MÜLLER, 1998, Antwort 25).
Kinder und Jugendliche beherrschten die Technik meist schneller als Erwachsene, bezüglich einiger Inhalte seien sie in ihrer Entwicklung aber noch nicht so weit fortgeschritten und könnten sie nicht verkraften. Davor müßten Kinder und Jugendliche geschützt werden. Jugendmedienschutz und Medienpädagogik sollten sich nach Ansicht Müllers stärker verbinden, und es sollte ein Austausch zwischen Theoretikern und Praktikern erfolgen. Auch für ihre Arbeit würde sie eine solche Verbindung begrüßen und hält Medienpädagogik für ein "Stück Prävention" (MÜLLER, 1998, Antwort 25).
Besonders unterstreicht sie den Kontakt zur Zielgruppe. Immer wieder sollte mit Kindern und Jugendlichen selbst gesprochen und ihre Einschätzung zur Wirkung von problematischen Angeboten berücksichtigt werden.
Man müsse den Kontakt und die Diskussion aufrecht erhalten und die Entwicklung der Kinder, den Zugang zu Medien und auch die Medien selber beobachten. Eine enge Orientierung an der Zielgruppe und eine Integration in der Pädagogik hält Frau Müller für wichtig (vgl.: MÜLLER, 1998, Antwort 25).
Anders als die beiden anderen vorgestellten Stellen wird Jugendschutz.net selber aktiv und sucht mit Hilfe eines technischen Verfahrens nach deutschsprachigen, jugendgefährdenden Inhalten im Netz. Die Menge der dabei gefundenen Seiten (200-300 täglich) übersteigt erheblich die Kapazitäten der zwei Angestellten von Jugendschutz.net. Trotz dieser Mängel beurteilt Frau Müller ihre Arbeit als erfolgreich und verweist darauf, daß es z.B. im Bereich der antidemokratischen Propaganda Erfolge zu verzeichnen gäbe. Auch im Bereich der Kinderpornographie, in dem Jugendschutz.net mit dem Bundeskriminalamt zusammenarbeitet und internationale Verbindungen bestehen, gäbe es gute Ergebnisse. Frau Müller bewertet es auch als positiv, daß die Stelle einen gewissen Bekanntheitsgrad in Deutschland erreicht hat, und somit auch das Bewußtsein für Jugendschutz im Internet gewachsen sei.
Offiziell sind die Länder nur für Dienste zuständig, die sich an die Allgemeinheit richten und redaktionell bearbeitet sind. Das Internet allgemein und Dienste, die der Individualkommunikation dienen, fallen nicht unter die Aufsicht der Länder, sondern unter die Aufsicht des Bundes und somit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. Die Kompetenzen von Jugendschutz.net sind deshalb in vielen Fällen nicht klar, da auch die Zuordnung nach Tele- und Mediendiensten unklar ist.
Das Problem, das die beiden anderen vorgestellten Stellen auch haben, stellt sich auch hier: es werden nur deutschsprachige Angebote erfaßt, die jugendgefährdenden ausländischen Angebote, die ja die große Mehrzahl des Angebotes darstellt, können nicht erfaßt werden. Jugendschutz.net bemüht sich, mit ähnlichen Organisationen in anderen Ländern zusammen zu arbeiten. Diese Zusammenarbeit ist dringend notwendig. Letztendlich kann diese Stelle nur einen Beitrag zur Überwachung der Einhaltung des Mediendienstestaatsvertrages leisten, wozu sie auch einzig den Auftrag hat. Ob sie zu einer Bewußtseinsbildung bezüglich des Jugendmedienschutzes im Internet beigetragen hat, ist nicht nachzuprüfen. Jugendschutz.net wird immer nur deutsche Anbieter auffordern können, ihre Angebote entsprechend der bestehenden Jugendschutzbstimmungen zu gestalten. Die Vielzahl von internationalen Angeboten wird aber nach wie vor bei Interesse im Netz zu finden sein.
Ein Punkt, der vielfach Kritik auslöste, ist, daß die Entscheidungen, ob etwas jugendgefährdend ist oder nicht von einer einzigen Person, in der Regel Frau Müller, getroffen werden. Einfache Pornographie ist in Mediendiensten gänzlich verboten. Wertete man alle Websites als Mediendienst, so wären beispielsweise einfach-pornographische Angebote im deutschen Web nicht mehr möglich. Wie Frau Müller berichtete, existieren auch kaum noch solche Angebote von deutschsprachigen Anbietern. Die Folge ist bereits heute schon, daß Anbieter ausländische Server benutzen und so für die deutsche Strafverfolgung schwerer oder meist gar nicht zu fassen sind. Ein Ausbau der internationalen Zusammenarbeit ist wünschenswert.
Jugendschutzinstitutionen zu vernetzen und sich gegenseitig länderübergreifend zu informieren könnte ein Ansatz für die Zukunft sein. Günstig wäre es, so Müller, in jedem Land eine Stelle wie Jugendschutz.net zu haben, die miteinander in Kontakt stünden. Beeinträchtigungen oder Gefährdungen durch Inhalte für Kinder und Jugendliche möglichst auszuschließen hält Frau Müller für erstrebenswert. Für die Zukunft wünscht sie sich eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Jugendmedienschutz und Medienpädagogik, zwischen Theorie und Praxis. Ein weiterer wichtiger Punkt sei der Kontakt zu Kindern und Jugendlichen, um ihre Meinung zu problematischen Angeboten berücksichtigen zu können und die Diskussion aufrecht zu erhalten.
Als Ergebnis der geführten Interviews ergibt sich folgendes Gesamtbild: der Jugendmedienschutz in Deutschland ist in mehrere Kompetenzbereiche zersplittert, was in der Praxis zu Unklarheiten und Kompetenzenstreit, insbesondere zwischen Bund und Ländern, führt.
Die Rechtslage bezüglich des Internets macht es den entsprechenden Stellen nicht leichter. Dienste im Internet sind in Tele- und Mediendienste unterteilt, deren Zuordnung im einzelnen unklar ist. Die Rechtslage wurde von allen Interviewpartnern als schwierig eingestuft. Insbesondere zwischen der Bundesprüfstelle als Vertreterin des Staates, die nach dem Gesetz zur Verbreitung jugendgefährdender Schriften für die Teledienste zuständig ist und der Stelle der Länder, Jugendschutz.net, die laut Mediendienstestaatsvertrag die Mediendienste kontrolliert, gibt es Differenzen über die Zuständigkeit.
Sowohl Frau Kortländer als auch Herr Waldenberger zweifeln die Rechtmäßigkeit einer Stelle wie Jugendschutz.net an und rücken sie in die Nähe des Vorwurfs der Zensur, da letztendlich nur eine Person über die Inhalte entscheide.
Bemängelt wurde von allen auch die noch fehlende Rechtsprechung und die zum Teil mangelhafte Anwendung der bestehenden Gesetze. Eine internationale Zusammenarbeit wird in der Regel für schwierig gehalten, da unterschiedliche Rechts- und Wertesysteme auf der Welt diese stark erschweren. Die Freiwillige Selbstkontrolle Multimediadiensteanbieter und Jugendschutz.net sind bemüht, zumindest auf europäischer Ebene einen Mindestkonsenz zu finden, die Bundesprüfstelle beschränkt sich lediglich auf Deutschland und arbeitet gar nicht auf internationaler Ebene.
Da das Internet ein weltweites Medium ist, ist der Blick über den eigenen Tellerrand aber gerade an dieser Stelle mehr als nötig und eine Auseinandersetzung, zumindest mit europäischen Werten und Normen, mehr als wünschenswert. Ein vereintes Europa sollte beim Jugendschutz nicht aufhören. Ein Austausch ist bereichernd für alle Seiten und relativiert oftmals den eigenen Standpunkt.
Deutschland ist mit der Welt vernetzt, und Alleingänge bewirken nur bedingt etwas, bzw. werden an anderer Stelle wieder unterwandert. Das Internet ist dezentral organisiert und gegen Ausfälle bzw. Sperrungen relativ gefeit, was das Verbot der Online-Ausgabe der linksextremen Zeitschrift ´Radikal` durch deutsche Behörden belegt. Trotz Verbot in Deutschland wurde ´Radikal` massenhaft auf ausländische Server gespiegelt und war somit nach wie vor abrufbar. Deutsche Gesetze gelten nicht weltweit, und Dinge, die in Deutschland verboten sind, werden in anderen Ländern gar nicht oder viel milder bestraft als bei uns. Kinderpornographie ist in Japan beispielsweise kein Thema für die Strafverfolgung.
Der Versuch, mit bisher angewandten Mitteln gegen jugendgefährdende Inhalte im Internet vorzugehen, scheint wirkungslos oder im Hinblick auf den als Programmzeitschrift mißbrauchten BPjS-Report kontraproduktiv. Diese Form des Medienschutzes hat bei den alten Medien schon nicht besonders gut funktioniert. -Indizierte Spiele gehören zu den beliebtesten der Jugendlichen. Beim Internet ist eine Indizierung noch schwieriger durchzusetzen und bleibt in den meisten Fällen wirkungslos.
Ein weiterer Punkt, der in dieser Arbeit nur angerissen werden kann, ist die tatsächliche Jugendgefährdung oder ´Desorientierung` Jugendlicher durch die von Erwachsenen als jugendgefährdend eingestufte Medien. Wissenschaftlich ist bis heute nicht eindeutig bewiesen, welche Wirkung Medien auf Kinder haben. Fest steht folgendes: Medien sind nie allein verantwortlich für ein Verhalten oder eine Entwicklungsstörung von Kindern und Jugendlichen. Eine Monokausalität wie in der Lerntheorie (Lernen am Modell sowie durch Verstärkung), wie sie von der Bundesprüfstelle immer noch angenommen wird, ist nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu einseitig.
Medien mögen bereits vorhandene Defizite verstärken, können jedoch nicht alleine dafür verantwortlich gemacht werden. Das Elternhaus, die Peergroup und andere Einflüsse aus der Umwelt des Heranwachsenden spielen eine große Rolle. Ferner ist interessant, daß laut Untersuchungen Jugendliche sich beispielsweise für Pornographie nur marginal interessieren. Hauptklientel ist der männliche Erwachsene mittleren Alters in gesicherter sozialer Stellung (vgl.:KNOLL, 1998a, S.11ff). Sicher muß man zum Medium Internet sagen, daß Informationen zu allen möglichen Themen relativ leicht zugänglich sind, wenn man danach sucht. Keinesfalls ist es aber so, daß bedenkliche Angebote einem an jeder Ecke auflauern und belästigen.
Nach Pornographie etc. muß man suchen, indem man entsprechende Suchbegriffe in die Suchmaschine eingibt. Sicherlich ist die Hemmschwelle dabei geringer, als wenn man ältere Freunde fragen muß oder versucht, an einem Kiosk entsprechendes Material zu bekommen. Mit der vielfach in Medien zitierten Kinderpornographie werden Kinder aller Voraussicht nach überhaupt nicht konfrontiert werden, da zu deren Auffindung bestimmte einschlägige Suchbegriffe notwendig sind, die nur Insidern bekannt sind. Etwas anderes ist der Umstand, daß diese Seiten einen Mißbrauch von Kindern darstellen und unter diesem Gesichtspunkt im Rahmen des Kinder- und Jugendschutzes zu ahnden sind. Die einschlägigen Gesetze des Strafgesetzbuches (§ 176, § 180, § 182, §184) bieten dazu die nötigen Voraussetzungen der Strafverfolgung.